Als Michael S. im Jahr 2022 seinen ersten Insolvenzantrag stellte, war er voller Hoffnung. Der gelernte Einzelhandelskaufmann hatte sich nach einer gescheiterten Selbstständigkeit überschuldet, doch das Verfahren versprach einen Neuanfang. Dann kam der Rückschlag: Ihm wurde die Verfahrenskostenstundung entzogen – wegen fehlender Mitwirkungspflicht. Damit war das Verfahren beendet, bevor es richtig begann – und die ersehnte Restschuldbefreiung rückte in weite Ferne.
Michael dachte, er müsste nun jahrelang warten. Doch zur Überraschung vieler ist das nicht nötig: Nach geltendem Recht kann er sofort einen neuen Antrag stellen – auch ohne Sperrfrist. Für manche eine faire zweite Chance. Für andere eine gefährliche Gesetzeslücke.
Genau um diese Situation ging es Anfang Juni 2024 auf der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister in Hannover. Dort wurde diskutiert, ob das geltende Recht zu großzügig mit unredlichem Verhalten umgeht – und ob gesetzlich nachgebessert werden muss.
Rechtlicher Hintergrund – Warum eine Gesetzeslücke Sorgen bereitet
Die Restschuldbefreiung ist das zentrale Ziel jedes Insolvenzverfahrens für überschuldete Privatpersonen: Wer ehrlich mitwirkt, kann nach spätestens drei Jahren schuldenfrei sein (§ 287 InsO). Doch was passiert, wenn jemand sich nicht an die Spielregeln hält?
Genau darum geht es im Fall, den die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer 95. Konferenz am 5. und 6. Juni 2024 in Hannover aufgegriffen haben. Nach aktueller Rechtslage – gestützt durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 4.5.2017 – IX ZB 92/16) – besteht keine Sperrfrist für einen erneuten Insolvenzantrag, selbst wenn das erste Verfahren wegen Fehlverhaltens abgebrochen wurde.
Beispiel: Ein Schuldner verschweigt Einnahmen, verliert daraufhin die Verfahrenskostenstundung (§ 4a InsO), das Verfahren wird eingestellt – und er kann sofort wieder einen Antrag stellen. Ohne Wartezeit. Ohne Konsequenz.
Die Justizministerkonferenz sieht darin eine Gesetzeslücke. Ihre Forderung: Künftig soll in solchen Fällen eine Sperrfrist greifen, damit unredliches Verhalten nicht belohnt wird. Es geht um Fairness – gegenüber den Gläubigern, aber auch gegenüber den vielen redlichen Schuldner:innen, die sich regelkonform verhalten.
Ob der Gesetzgeber diese Lücke tatsächlich schließen wird, bleibt abzuwarten. Doch die Diskussion zeigt: Auch in der Schuldenregulierung gibt es Grauzonen – und Reformbedarf.
Drei Geschichten, drei Wendepunkte – Wenn es (doch noch) klappt
1. Patrick, 34: Vom Leichtsinn zum Lernerfolg
Patrick war jung, verschuldet – und unachtsam. Im ersten Verfahren versäumte er es, dem Insolvenzgericht einen Nebenjob anzugeben. Die Folge: Die Stundung wurde widerrufen, das Verfahren eingestellt. Doch Patrick ließ sich nicht entmutigen. Er holte sich Hilfe bei einer Schuldnerberatung, bereitete den zweiten Antrag sauber vor – und bekam diesmal alles genehmigt. Nach drei Jahren war er schuldenfrei. Sein Fazit: „Ich habe aus meinen Fehlern gelernt.“
2. Nadine, 42: Hoffnung nach dem Absturz
Nadine verlor nach ihrer Scheidung den Überblick über ihre Finanzen. Beim ersten Insolvenzversuch fehlten wichtige Unterlagen, was zum Verfahrensabbruch führte. Doch ihre Schuldnerberaterin motivierte sie zum Durchhalten. Beim zweiten Anlauf war alles vollständig – und Nadine bewies ihre Mitwirkungsbereitschaft. Das Verfahren lief regulär durch, die Restschuldbefreiung wurde erteilt.
3. Thomas, 57: Eine zweite Chance durch Ehrlichkeit
Thomas hatte bei seinem ersten Antrag geschummelt – kleine Einnahmen aus Gelegenheitsjobs verschwieg er. Als das aufflog, wurde das Verfahren beendet. Ein Jahr später versuchte er es erneut – diesmal mit offenem Kartenblatt. Seine transparente Mitarbeit überzeugte das Gericht. Nach Ablauf der drei Jahre erhielt er die Restschuldbefreiung – und warnte danach öffentlich andere vor denselben Fehlern.

Was sagen die Profis?
Rechtsanwalt Rüdiger Schmidt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, äußerte sich in einem Newsletter zum Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 4. Mai 2017 (Az. IX ZB 92/16) wie folgt:
„Der 9. Senat des BGH stellt hier zunächst unmissverständlich und überzeugend fest, dass es eine Trennung von zulässigem Restschuldbefreiungsantrag und einer Bewilligung der Stundung der Verfahrenskosten in den ab dem 1.7.2014 beantragten Verfahren nicht geben kann.“
Schmidt betont, dass der BGH in seiner Entscheidung klarstellt, dass ein Schuldner nach Aufhebung der Kostenstundung und Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ohne Einhaltung einer Sperrfrist erneut einen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen kann. Diese Möglichkeit sei jedoch nicht unumstritten, da sie unredlichen Schuldnern Handlungsspielräume eröffne und die Insolvenzgerichte sowie die öffentlichen Haushalte belaste.
Die Justizministerkonferenz hat daher im Juni 2024 diskutiert, ob gesetzliche Änderungen erforderlich sind, um solche Fälle künftig mit einer Sperrfrist zu belegen. Ziel ist es, die Integrität des Insolvenzverfahrens zu wahren und sicherzustellen, dass nur redliche Schuldner in den Genuss der Restschuldbefreiung kommen.
Häufige Fragen zur Sperrfrist und Restschuldbefreiung
Was ist eine Restschuldbefreiung?
Die Restschuldbefreiung ist das Ziel eines Verbraucherinsolvenzverfahrens: Nach erfolgreichem Ablauf (meist nach 3 Jahren) werden alle verbleibenden Schulden erlassen – ein Neuanfang wird möglich.
Gibt es aktuell eine Sperrfrist nach gescheitertem Verfahren?
Nein, derzeit gibt es keine gesetzlich geregelte Sperrfrist. Auch wer wegen Fehlverhaltens aus dem Verfahren ausscheidet, kann theoretisch sofort einen neuen Antrag stellen (BGH, Beschl. vom 4.5.2017 – IX ZB 92/16).
Was will die Justizministerkonferenz ändern?
Die Konferenz schlägt vor, eine Sperrfrist einzuführen, wenn Schuldner:innen sich unredlich verhalten und dadurch das Verfahren vorzeitig endet. Ziel ist mehr Fairness im System.
Muss ich bei einem zweiten Antrag wieder alle Unterlagen einreichen?
Ja. Jeder neue Insolvenzantrag muss vollständig eingereicht werden, inklusive aktueller Unterlagen zur finanziellen Situation und einer neuen Bescheinigung über den außergerichtlichen Einigungsversuch (§ 305 InsO).
Kann ich trotzdem eine zweite Chance bekommen?
Ja – solange Sie künftig vollständig mitwirken und ehrlich handeln. Gerichte erkennen oft, wenn jemand aus seinen Fehlern gelernt hat. Eine gute Beratung hilft, den neuen Antrag korrekt vorzubereiten.
Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft …
Fehler gehören zum Leben – auch im Insolvenzverfahren. Wichtig ist, wie man mit ihnen umgeht. Die aktuelle Diskussion um eine Sperrfrist zeigt, dass der Gesetzgeber Lücken schließen will, um das Verfahren gerechter zu machen. Aber sie zeigt auch: Noch ist der Weg offen für alle, die einen ehrlichen Neustart wagen.
Wenn Sie aus einem ersten Versuch gelernt haben, stehen Ihre Chancen gut, es beim zweiten Mal richtig zu machen. Entscheidend ist Ihre Mitwirkung – und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
So geht’s weiter: Hilfe bei Ihrem Neustart
Sie haben bereits einen Insolvenzantrag gestellt – und es lief nicht wie erhofft? Oder Sie fragen sich, ob ein zweiter Anlauf möglich ist? Dann holen Sie sich jetzt fachkundige Unterstützung. Eine professionelle Schuldnerberatung oder eine spezialisierte Kanzlei kann Ihnen helfen, Fehler zu vermeiden und Ihre zweite Chance bestmöglich zu nutzen.
Die Kanzlei Schmidt aus Stuttgart ist auf Verbraucherinsolvenzverfahren spezialisiert und begleitet Menschen auf dem Weg zurück in ein schuldenfreies Leben – empathisch, kompetent und erfahren.
Glossar – Die wichtigsten Begriffe erklärt
Restschuldbefreiung
Der Erlass aller verbleibenden Schulden nach erfolgreichem Abschluss eines Insolvenzverfahrens. Sie erfolgt in der Regel nach drei Jahren (§ 287 InsO).
Lesen Sie passend dazu auch: Durchblick im Insolvenzverfahren: Was Sie über Restschuldbefreiung wissen müssen
Verfahrenskostenstundung
Ein Schuldner kann beim Insolvenzgericht beantragen, dass die Verfahrenskosten (z. B. für Gericht und Insolvenzverwalter) gestundet werden. Voraussetzung ist Bedürftigkeit (§ 4a InsO).
Sperrfrist
Eine gesetzlich geregelte Wartezeit, bevor ein neuer Antrag gestellt werden darf. Eine solche Frist besteht bei Fehlverhalten derzeit nicht – sie wird aber diskutiert.
Unredliches Verhalten
Verhaltensweisen wie das Verschweigen von Einkommen oder Vermögen, die das Vertrauen in das Verfahren untergraben und zur Versagung der Stundung oder der Restschuldbefreiung führen können.
BGH-Beschluss IX ZB 92/16
Ein richtungsweisender Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 2017, der bestätigt, dass Schuldner:innen nach Einstellung eines Verfahrens ohne Sperrfrist einen neuen Antrag stellen können.
Information: Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.