Ein klingelnder Briefträger ist schon nervig – aber wenn plötzlich der Insolvenzverwalter vor der Tür steht, ist das für viele Schuldner:innen ein echter Schock. So ging es auch Herrn L., einem alleinerziehenden Vater aus Thüringen. Nach der Einleitung seines Verbraucherinsolvenzverfahrens stand der Verwalter unangekündigt in seiner Wohnung. Er wollte sich „einen Überblick über das Vermögen“ verschaffen. Herr L. war überrumpelt – und unsicher: Muss ich ihn wirklich reinlassen? Was darf der Verwalter – und was nicht?
Die Antwort ist nicht ganz einfach. Denn während manche Insolvenzgerichte solche Besuche ausdrücklich begrüßen, halten andere sie für unzulässig – zumindest ohne konkreten Anlass. Auch die Gerichte sind sich uneins. Was erlaubt das Gesetz, was sagt der Bundesgerichtshof – und wie erleben Betroffene diese Praxis?
Was sagt das Gesetz? – Die rechtlichen Grundlagen von Wohnungsbesuchen im Insolvenzverfahren
Der Grundsatz: Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 InsO)
In Insolvenzverfahren gilt der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet: Das Gericht und der Insolvenzverwalter müssen von sich aus alle entscheidungserheblichen Tatsachen ermitteln. Sie sind also nicht auf das beschränkt, was die Beteiligten von sich aus mitteilen.
Die Rolle des Insolvenzverwalters: Verwaltungs- und Besitzrechte (§ 80 Abs. 1 InsO)
Mit der Verfahrenseröffnung geht die Verwaltungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über. Das betrifft auch Gegenstände in der Wohnung – aber nicht die Wohnung selbst! Denn: Die Wohnung bleibt im Besitz des Schuldners. Ohne konkreten Verdacht oder richterliche Anordnung ist ein Betreten nicht automatisch erlaubt.
Ausnahme: Gefährdung der Masse (§ 148 Abs. 1 InsO)
Eine Wohnungsbesichtigung kann zulässig sein, wenn sie zur Sicherung oder Feststellung von zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen erforderlich ist. In solchen Fällen kann das Insolvenzgericht Maßnahmen anordnen – auch gegen den Willen des Schuldners.
Besonderheit bei Verbraucherinsolvenzen (§ 305 Abs. 3 InsO)
Bei Verbraucher:innen ist der Gesetzgeber besonders sensibel: Der Bundesgerichtshof (BGH) betont, dass der Amtsermittlungsgrundsatz hier eingeschränkt ist. BGH, Beschluss vom 24.02.2022 (IX ZB 5/21): Ermittlungen „ins Blaue hinein“ – also ohne konkreten Anlass – sind unzulässig.
Fazit der Rechtslage
Ein Wohnungsbesuch ist kein Standardinstrument. Er muss begründet, verhältnismäßig und – besonders in der Verbraucherinsolvenz – rechtlich gut abgesichert sein. In der Praxis gehen die Meinungen der Gerichte jedoch auseinander.

Wo ist der Wohnungsbesuch (noch) üblich? – Ein Blick in die Praxis
Ein uneinheitliches Bild: Ergebnisse aus Workshop II
Auf einem bundesweiten Fachworkshop wurde genau diese Frage diskutiert: Darf der Insolvenzverwalter einfach zur Wohnungsbesichtigung erscheinen? Das Ergebnis: Etwas weniger als die Hälfte der teilnehmenden Fachleute berichteten, dass „ihre“ Insolvenzgerichte solche Besuche gutheißen oder sogar erwarten – vor allem bei natürlichen Personen in der Regelinsolvenz.
Argumente für den Besuch
Befürworter führen an, dass nur durch einen Wohnungsbesuch wirklich sichergestellt werden kann,
- dass keine verschwiegenen Vermögenswerte vorliegen (z. B. Gold, Bargeld, Sammlerstücke),
- dass es keine unangemeldeten Nebenverdienste gibt (z. B. Heimwerkergeschäfte),
- und um generell die Ehrlichkeit des Schuldners zu überprüfen.
Argumente gegen den Besuch
Kritiker warnen vor einem Eingriff in die Privatsphäre, der mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung kollidieren kann (Art. 13 GG). Außerdem weisen sie darauf hin, dass der Schuldner mit dem amtlichen Antragsformular umfangreiche und strafbewehrte Angaben machen muss. Ein zusätzlicher Besuch – ohne Anlass – widerspricht laut BGH dem Gesetzeszweck der Verbraucherinsolvenz.
Die Rolle des Einzelfalls
Letztlich kommt es auf die Umstände an:
- Besteht der Verdacht, dass Vermögen verschwiegen wurde?
- Gibt es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten oder frühere Gläubigerbeschwerden?
- Ist der Schuldner kooperationsbereit?
Die Antwort auf die Frage „Darf der Insolvenzverwalter meine Wohnung betreten?“ ist also nicht pauschal zu beantworten – sondern abhängig von Anlass, Gericht und Verfahrensart.
Drei echte Fälle aus der Praxis – zwischen Kontrolle, Konflikt und Klärung
Fall 1: Angekündigter Kontrollbesuch bei Regelinsolvenz – alles glatt
Herr S., ehemaliger Handwerksmeister, hatte ein Regelinsolvenzverfahren beantragt. Der Insolvenzverwalter kündigte einen Besuch an, um die Werkstatt im Keller zu besichtigen. Herr S. war kooperativ, zeigte alle Räume und Unterlagen. Ergebnis: Keine Beanstandung, Vertrauen geschaffen – kein weiterer Eingriff nötig.
Fall 2: Verweigerter Zutritt bei Verbraucherinsolvenz – Gericht gibt Schuldner recht
Frau M., alleinerziehend, hatte ihre Angaben vollständig gemacht. Der Verwalter erschien unangekündigt zur Besichtigung. Sie verweigerte den Zutritt – worauf der Verwalter das Gericht einschaltete. Das Insolvenzgericht urteilte: Ohne konkreten Anlass sei kein Wohnungszutritt durchsetzbar.
Fall 3: Besuch trotz Kooperationsbereitschaft – unnötiger Konflikt
Herr T., Rentner, hatte bereits Bilder und Inventarliste eingereicht. Der Verwalter bestand trotzdem auf einem Besuch. Herr T. fühlte sich übergangen und schaltete seinen Anwalt ein. Dieser verwies auf die BGH-Rechtsprechung – der Besuch wurde abgesagt.
Stimmen aus der Fachwelt – zwischen Kontrolle und Verhältnismäßigkeit
Einschätzung eines Insolvenzrichters: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“
„In bestimmten Fällen ist ein Wohnungsbesuch durch den Insolvenzverwalter gerechtfertigt, insbesondere wenn konkrete Anhaltspunkte für verschwiegene Vermögenswerte vorliegen. Die Amtsermittlungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 InsO erlaubt es dem Verwalter, notwendige Maßnahmen zur Aufklärung zu ergreifen.“
Stellungnahme eines Schuldnerberaters: „Unangekündigte Besuche sind problematisch“
„Unangekündigte Wohnungsbesuche können das Vertrauensverhältnis zwischen Schuldner und Verwalter erheblich belasten. Besonders in der Verbraucherinsolvenz sollte der Datenschutz und die Privatsphäre der Schuldner gewahrt bleiben.“
Einschätzung eines Fachanwalts für Insolvenzrecht: „Rechtliche Grenzen beachten“
„Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 24. Februar 2022 (IX ZB 5/21) klargestellt, dass in der Verbraucherinsolvenz der Amtsermittlungsgrundsatz durch § 305 Abs. 3 InsO eingeschränkt ist. Ermittlungen ohne konkreten Anlass sind demnach unzulässig.“
Häufige Fragen (FAQ) – Was Betroffene wissen wollen
Muss ich den Insolvenzverwalter in meine Wohnung lassen?
Nein, nicht grundsätzlich. Nur wenn es konkrete Anhaltspunkte für verschwiegene Vermögenswerte gibt oder das Gericht einen Besuch ausdrücklich anordnet, kann der Zutritt verlangt werden.
Lesen Sie dazu passend auch: Insolvenzverwalter in der Privatinsolvenz: Retter oder Richter?
Was passiert, wenn ich den Besuch verweigere?
Das hängt vom Grund des Besuchs ab. Bei unbegründeter Verweigerung kann das Gericht eingeschaltet werden. Bei unberechtigtem Kontrollwunsch passiert meist nichts weiter – außer dass der Verwalter es eventuell negativ vermerkt.
Gilt das auch in der Verbraucherinsolvenz?
Ja – hier sogar besonders. Laut BGH ist der Amtsermittlungsgrundsatz in der Verbraucherinsolvenz eingeschränkt (§ 305 Abs. 3 InsO). Ermittlungen „ins Blaue hinein“ sind nicht zulässig.
Muss der Verwalter den Besuch vorher ankündigen?
Eine Ankündigung ist üblich und empfehlenswert, aber nicht zwingend vorgeschrieben. Ohne richterliche Anordnung darf der Verwalter jedoch nicht gewaltsam Zutritt erzwingen.
Kann ich den Besuch mit einer Vertrauensperson durchführen?
Ja, unbedingt. Es ist ratsam, bei Unsicherheit eine Vertrauensperson, einen Schuldnerberater oder ggf. einen Anwalt dabei zu haben. Das schafft Transparenz und schützt vor Missverständnissen.
Fazit – Kontrolle braucht klare Grenzen
Der Besuch eines Insolvenzverwalters in der Wohnung des Schuldners ist ein sensibles Thema. Zwar kann er in bestimmten Fällen gerechtfertigt sein – etwa bei konkretem Verdacht auf verschwiegenes Vermögen. Doch ein pauschaler Kontrollbesuch ohne Anlass ist rechtlich nicht zulässig, insbesondere nicht in der Verbraucherinsolvenz. Das hat der Bundesgerichtshof unmissverständlich klargestellt.
Für Schuldner:innen bedeutet das: Wer offen, vollständig und wahrheitsgemäß alle Vermögensverhältnisse angibt, hat nichts zu befürchten – und darf auf Schutz seiner Privatsphäre bestehen.
Nächste Schritte – Jetzt Klarheit schaffen mit der Kanzlei Schmidt
Fühlen Sie sich unsicher, ob ein Wohnungsbesuch rechtens ist? Oder erleben Sie gerade selbst einen solchen Fall? Dann holen Sie sich frühzeitig fachliche Unterstützung. Die Kanzlei Schmidt bietet eine kostenfreie Ersteinschätzung durch erfahrene Fachanwält:innen für Insolvenzrecht.
Denn Klarheit schafft Sicherheit – und Vertrauen ist die beste Grundlage für einen Neuanfang.
Glossar – Wichtige Begriffe einfach erklärt
Amtsermittlungsgrundsatz (§ 5 InsO):
Das Insolvenzgericht und der Verwalter müssen die relevanten Tatsachen von sich aus ermitteln – sie sind nicht nur auf die Angaben der Beteiligten angewiesen.
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO):
Nach Verfahrenseröffnung geht die Kontrolle über das pfändbare Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über – nicht aber über die Wohnung selbst.
§ 148 Abs. 1 InsO:
Ermöglicht gerichtliche Maßnahmen zur Sicherung von Vermögenswerten – kann in Ausnahmefällen auch den Zutritt zur Wohnung ermöglichen.
§ 305 Abs. 3 InsO:
Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verbraucherinsolvenzverfahren – Ermittlungen ohne konkreten Anlass sind nicht erlaubt.
BGH-Beschluss IX ZB 5/21:
Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs von 2022 – Wohnungsbesuche ohne konkreten Anlass widersprechen dem Sinn der Verbraucherinsolvenz.
Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechtsberatung.